Hinter einer unzuverlässigen Blase oder Rückenschmerzen steckt nicht selten ein geschwächter Beckenboden. Wissenswertes zu dieser Muskelgruppe findet ihr hier: Mit hilfreichen Tipps für den Alltag, bei denen ihr den Beckenboden ganz nebenbei stärkt. Erfahrt außerdem, welche Sportarten und Angewohnheiten die Beckenbodenmuskulatur schwächen!
Spannt mal euren Beckenboden an. Hat es geklappt? Dann herzlichen Glückwunsch! Ich bin seit zwei Jahrzehnten in der Beckenbodentherapie tätig und bekomme leider sehr oft von Patienten zu hören: „Ich weiß nicht, wo mein Beckenboden ist.“ In der Tat fällt es schwer, einen Teil des Körpers wahrzunehmen, den man nicht sieht und über den man oftmals bis zur ersten Schwangerschaft noch nie etwas gehört hat.
Dabei ist es mehr als lohnenswert, etwas über diese wichtige Muskulatur zu erfahren. Denn leider haben viel zu viele Frauen (und Männer!) gesundheitliche Probleme, die auf einen schwachen Beckenboden zurückzuführen sind. In manchen Fällen ist der Zusammenhang nicht einmal bekannt. Je besser jede Frau und jeder Mann den eigenen Körper versteht, desto effektiver kann sie und er den Beckenboden stärken und so dauerhafte Beschwerden oder gar Operationen vermeiden.
Der gesunde Beckenboden trägt unsere Organe
Darf ich also vorstellen: Unser „Träger“ und „Türsteher“ – der Beckenboden. Als „Träger“ verschließt er den Bauchraum nach unten und sorgt so dafür, dass alle Organe an der richtigen Stelle bleiben.
Doch er hält nicht nur fest. In seiner weiteren wichtigen Funktion als „Türsteher“ ist er für die Auslasskontrolle zuständig. Er entscheidet so über die gezielte Öffnung bei der täglichen Ausscheidung von Urin sowie Stuhl und natürlich auch bei der Geburt. Gleichzeitig sind die Beckenbodenmuskeln von Natur aus so stark, dass sie sich automatisch zusammenziehen, wenn eine Druckwelle, beispielsweise beim Lachen, Husten oder Niesen, auf sie stoßen.
Ihr könnt euch vorstellen: Je muskulöser und trainierter euer Beckenboden ist, desto besser kann er seine wichtigen Aufgaben bewältigen. Zu ihnen gehört auch, den aufrechten Gang und eine stabile Wirbelsäule zu unterstützen. Denn er ist direkt mit der Bauch- und Rückenmuskulatur verbunden. Ist der Beckenboden kräftig und stabil, trägt er zu einer geraden Körperhaltung und einem gesunden Rücken bei.
Schauen wir uns den Beckenboden genauer an, sehen wir, dass er aus drei übereinander liegenden Muskelschichten besteht. Zusammen mit Bindegewebsschichten spannen sie sich zwischen Schambein, Steißbein und den beiden Sitzbeinhöckern auf. Dabei ist unser „Träger“ – die oberste, innen liegende Schicht – am stärksten und hält die Organe wie ein Netz zusammen. Diese Schicht reicht vom Schambein bis zum Steißbein.
Die mittlere Schicht der Beckenbodenmuskulatur liegt quer zwischen den Sitzknochen und somit direkt unterhalb der Blase. Die dritte Schicht verläuft wie eine Acht um den Schließmuskel des Afters, die Harnröhre und Scheide. Zusammen sind die mittlere und dritte Schicht unser „Türsteher“. Übrigens besteht auch der Damm, der zwischen Scheide und After liegt, aus Beckenbodengewebe.
So fühlt ihr euren Beckenboden
Warum ist das Wissen um diese drei Schichten wichtig? Weil ihr sie einzeln fühlen und trainieren könnt! Das fällt gerade, wenn man sich zum ersten Mal mit dem Beckenboden beschäftigt, einfacher als wenn man den gesamten Beckenboden anspannen soll.
Möchtet ihr die größte Schicht des Beckenbodens spüren, unseren „Träger“? Dann legt euch hin und stellt euch vor, wie sich euer Schambein und eure untere Wirbelsäule berühren. Zieht sie so eng zusammen, wie nur möglich und bringt dabei euren Bauchnabel ebenfalls ganz nah an eure Wirbelsäule heran. Wenn ihr nicht gleich beim ersten Mal eine Bewegung spürt, gebt nicht auf. Es ist normal, dass sich euer Beckenbodenmuskel erst allmählich aufbauen muss, bevor ihr ihn aktiv anspannen könnt. Jede Übung macht ihn stärker!
Hier eine zweite Übung: Setzt euch gerade hin und legt dabei eure Hände unter die beiden Sitzbeinknochen. Versucht jetzt mit Hilfe eurer Beckenbodenkraft die beiden Knochen zusammenzuschieben – spürt ihr eine leichte Bewegung mit euren Händen? Das hat die mittlere Schicht eures Beckenbodens geleistet.
Um die dritte Schicht zu spüren, stellt euch die Acht vor, die um euren Schließmuskel und die Scheide verlaufen. Versucht sie anzuspannen, so als müsstet ihr auf die Toilette, ohne dass eine in der Nähe ist.
Gelingt es nicht, gibt es diese Möglichkeit, um diese Schicht zu spüren: Haltet während des Wasserlassens kurz an und setzt anschließend das Harnablassen fort. Dabei habt ihr diesen Teil eures Beckenbodens gebraucht. Das Unterbrechen soll jedoch wirklich nur dazu dienen, den Beckenboden zu spüren. Es ist auf keinen Fall eine geeignete Übung, um ihn zu stärken.
Wenn ihr mit den einzelnen Schichten eine Zeit lang geübt habt, versucht ihr, alle drei zusammen anzuspannen und kurz zu halten. Immer wieder: Beim Liegen, Stehen, Sitzen im Alltag. Ihr werdet schon nach kurzer Zeit feststellen, dass ihr immer länger halten könnt. Denn das kennt ihr schon vom Sport: Muskeln können sich schnell aufbauen. Und was ist euer Beckenboden? Genau: ein Muskel, der es leid ist, nicht beachtet zu werden!
Warum ein starker Beckenboden wichtig ist
Ein starker Beckenboden ist eine wichtige Voraussetzung für unsere Gesundheit. Er sorgt dafür, dass wir unsere Ausscheidungen optimal kontrollieren und durch eine gerade Haltung für einen gesunden Rücken. Das wissen wir ja bereits.
Darüber hinaus sorgt ein starker Beckenboden für guten Sex. Denn ein gut durchbluteter, straffer Beckenboden lässt Frauen deutlich mehr beim Geschlechtsakt empfinden und unterstützt ihre Orgasmusfähigkeit. Für den Mann gilt: Inkontinenz und Impotenz hängen leider zusammen. Tut Mann etwas für seinen Beckenboden, unterstützt er damit automatisch seine Potenz.
Es gibt auch Zusammenhänge zwischen Psyche und Beckenboden. Denn Kontinenz, ein gesunder Intimbereich und Schmerzfreiheit tragen in jedem Fall zu Wohlgefühl und einem stärkeren Bewusstsein bei.
Das schadet dem Beckenboden im Alltag
Unser „Träger“ und „Türsteher“ muss in jeder Minute seine Kraft beweisen. Einige Faktoren können ihn dabei schwächen. Wenn ihr diese kennt, könnt ihr euren Beckenboden ganz automatisch im Alltag unterstützen und darauf achten, ihn nicht permanent diesen Störquellen auszusetzen.
Sitzt ihr viel im Job und bewegt euch wenig? Das kann eurer Beckenbodenmuskulatur zu schaffen machen. Denn nicht selten geht damit eine insgesamt schlechte Fitness, wenig Muskelkraft und eine schlechte Körperhaltung einher. Leider können auch einige Sportarten – besonders für Frauen – schädlich für den Beckenboden sein. So zum Beispiel intensives Laufen, Trampolinspringen oder Ballsportarten, bei denen viel gehüpft wird. Das sind alles Killerfaktoren für euren Beckenboden.
Müsst ihr oft schwere Gegenstände oder zum Beispiel eure Kinder heben? Habt ihr vielleicht Übergewicht, müsst stark pressen, weil ihr häufig unter Verstopfungen leidet? Auch das sind Faktoren, die euren Beckenboden dauerhaft schwächen und im schlimmsten Fall zu Blasenschwäche, Inkontinenz oder dem Absenken von Organen wie Blase oder Gebärmutter führen können. Welche Folgen ein geschwächter Beckenboden haben kann, könnt ihr hier im Detail nachlesen.
Symptome für einen schwachen Beckenboden
Nicht allein Geburt oder die Menopause können Ursachen für Beckenbodenschwäche sein. Leider können Frauen und Männer in jeder Lebensphase eine solche Schwäche entwickeln. Einige von euch leiden möglicherweise bereits unter einem geschwächten Beckenboden, ohne den Zusammenhang zu kennen. Nicht immer ist es allein Inkontinenz, die auf einen schwachen Beckenboden hindeuten.
Anderen Symptome können ebenfalls dafür sprechen. So zum Beispiel Rückenschmerzen, insbesondere im unteren Rücken. Sehr häufig ist auch schon ein leichter Harnverlust beim Lachen, Husten oder Springen ein Hinweis, der leider zu oft und zu lange ignoriert wird.
So schont ihr den Beckenboden im Alltag
Die Faktoren, die unseren Beckenboden im Alltag und mit den Jahren (denn mit fortschreitendem Alter wird unsere Muskulatur immer schwächer) schwächen, lassen sich leider nicht gänzlich eliminieren. Eine Mutter muss ihre kleinen Kinder nun einmal hochheben und tragen. Jemand, der einen Bürojob hat, verbringt die meiste Zeit des Tages im Sitzen.
Deshalb möchte ich folgende Tipps mit euch teilen, um im Alltag euren Beckenboden zu schonen und ganz nebenher die Muskulatur aufzubauen.
Achtet beim Heben, sei es der Wäschekorb oder euer Baby, darauf, den Rücken dabei aufrecht zu halten und vor dem Anheben den Beckenboden zusammen mit den Bauchmuskeln anzuspannen. Wenn ihr Belastungen für den Beckenboden, den Rücken, die Bandscheiben und die Gelenke mit diesem kleinen Trick verringert, ist schon viel erreicht.
Ein guter Tipp, den mir eine Hebamme mal gegeben hat: Beim Niesen oder Husten dreht euch am besten zur Seite. So nehmt ihr die Wucht auf den Beckenboden und schont ihn.
Versucht in jeder Situation, euren Rücken gerade zu halten: Beim Sitzen, Laufen, aber auch zum Beispiel beim Staubsagen. Dadurch trägt eure Rückenmuskulatur einen Teil des Gewichtes, der sonst viel stärker auf eurem Beckenboden lasten würde. Es sind diese kleinen Dinge im Alltag, die wirklich viel bringen.
Bewusst Gutes für den Beckenboden tun
Ihr könnt den Beckenboden bei fast jeder Gelegenheit trainieren: Am Schreibtisch, wenn ihr an einer roten Ampel oder an der Kasse wartet. Keiner wird bemerken, ob ihr gerade den Beckenboden anspannt und so etwas aktiv für eure Gesundheit tut oder einfach nur in die Luft starrt.
Gewöhnt euch an, in einer bestimmten Situation an euren Beckenboden zu denken und ihn aktiv anzuspannen. Das bedeutet: Die Körperöffnungen (Harnröhre, Scheide und After) verschließen und in den Körper hineinziehen, dabei ausatmen. Mit dem Einatmen wieder loslassen und entspannen. Denkt zum Beispiel an euren „Türsteher“ und schiebt ihn eine Etage höher auf das Sonnendeck.
Ich weiß, es gehört viel Überwindung dazu, Sport zu treiben, wenn man eigentlich keine Lust und keine Zeit dafür hat. Deshalb versucht wenigstens kleine Bewegungspausen in euren Alltag zu integrieren. Das tut nicht allein eurem Beckenboden gut.
Lauft Treppen, anstatt den Aufzug zu nehmen. Fahrt mit dem Fahrrad statt mit dem Auto und geht rüber zu eurem Kollegen, anstatt ihn nur anzurufen. Jeder Schritt zählt auf dem Weg zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden.
Weil Pressen auf der Toilette eurem „Träger“ und „Türsteher“ gar nicht guttun: Achtet auf eine ballaststoffeiche Ernährung und geht nur auf die Toilette, wenn ihr wirklich müsst.
Lebenslanges Training stärkt Körpermitte
Man kann zwar viel tun, um einen schwachen Beckenboden zu stärken, aber wie immer ist Vorbeugen die beste Lösung. Für Frauen anderer Kulturen wie beispielsweise in Indien sind Beckenbodenübungen fester Bestandteil der eigenen Gesundheitspflege: Im indischen Yoga wird der Beckenboden im 5. Jahrhundert vor Christus erstmals schriftlich erwähnt. Dort gilt er als Basis physischer Stärke und als wichtigstes „Chakra“ für einen starken und gesunden Körper. Indische Frauen lernen Beckenbodenübungen von ihren Müttern und praktizieren sie fast ihr ganzes Leben lang regelmäßig. Fangt also jetzt an, worauf wartet ihr noch?
Ihr könnt aktiv etwas dafür tun, den Beckenboden zu stärken und eure Lebensqualität steigern. Wenn ihre eure Symptome als unnormal empfinden, wendet euch bitte in jedem Fall an einen Arzt oder ruft mich und mein Team an. Nur so kann euch individuell geholfen werden.
Je früher ihr aktiv werdet, desto besser sind eure Chancen, eure Beckenbodenmuskulatur zu stärken und Symptome wie Inkontinenz oder eine Gebärmuttersenkung in den Griff zu bekommen. Welche Therapiemöglichkeiten es gibt, könnt ihr hier nachlesen.